Wie kognitive Verzerrungen Süchte formen: Neue Erkenntnisse über Alkohol, Essen und Porno

Paracelsus

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Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Journal of Behavioral Addictions veröffentlicht wurde, hat wichtige Erkenntnisse über die neurokognitiven Mechanismen von Suchtverhalten mit und ohne Substanz ergeben.

Diese sechsmonatige Längsschnittstudie, die von einem internationalen Forscherteam aus Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA durchgeführt wurde, bietet einen einzigartigen Einblick in die Vorhersagekraft verschiedener neurokognitiver Funktionen bei der Erklärung von Suchtverhalten wie problematischem Alkoholkonsum, Esssucht, Pornografiekonsum und Internetnutzung. Ziel der Forschung ist es, herauszufinden, wie kognitive Kontrolle und belohnungsbezogene Funktionen zur Sucht beitragen können und ob sich diese Mechanismen zwischen Substanz- und Nicht-Substanzabhängigkeit unterscheiden.

In der Studie verfolgten die Forscher eine Gruppe von 294 Teilnehmern, hauptsächlich junge Australier mit einem Durchschnittsalter von 24,8 Jahren, über einen Zeitraum von sechs Monaten. Die Teilnehmer wurden anhand einer Reihe von neurokognitiven Online-Aufgaben und Umfragen untersucht, um verschiedene Suchtverhaltensweisen und deren neurokognitive Prädiktoren zu bewerten. Die Studie konzentrierte sich auf problematischen Alkoholkonsum, süchtiges Essen (AE), problematischen Pornografiekonsum (PPU) und problematischen Internetkonsum (PUI).

Wichtigste Ergebnisse

  • Eines der auffälligsten Ergebnisse war, dass die neurokognitiven Ausgangsdaten keine Vorhersage über den Schweregrad der Esssucht oder des Internetgebrauchs nach sechs Monaten zuließen. In der Studie wurden jedoch bestimmte neurokognitive Funktionen identifiziert, die über kürzere Zeiträume nicht-substanzabhängige Verhaltensweisen voraussagten. So sagte beispielsweise eine schlechtere Leistungsüberwachung - eine wichtige kognitive Kontrollfunktion - nach drei Monaten ein höheres Maß an Esssucht voraus. Außerdem war die belohnungsbezogene Aufmerksamkeitserfassung, die widerspiegelt, wie stark eine Person von belohnenden Reizen angezogen wird, nach sechs Monaten mit einem höheren Maß an süchtigem Essen verbunden. Die Studie fand auch heraus, dass eine geringere Risikobereitschaft bei Ungewissheit eine höhere problematische Internetnutzung nach drei Monaten voraussagte, was auf einen anderen neurokognitiven Mechanismus bei PUI im Vergleich zu anderen Formen der Sucht hindeutet.
  • Ein bemerkenswertes Ergebnis war, dass die Verzögerungsdiskontierung, d. h. wie sehr eine Person Belohnungen im Laufe der Zeit abwertet, nach sechs Monaten einen höheren Anteil an problematischem Pornokonsum voraussagte. Dieses Ergebnis ist etwas kontraintuitiv, da frühere Forschungen in der Regel eine stärkere Diskontierung mit substanzbezogenen Süchten in Verbindung gebracht haben. Interessanterweise konnte keine der untersuchten neurokognitiven Variablen einen problematischen Alkoholkonsum vorhersagen, was die Frage aufwirft, ob stoffgebundene und nicht stoffgebundene Süchte die gleichen zugrunde liegenden neurokognitiven Mechanismen aufweisen.
Die Forscher betonen, dass diese Erkenntnisse zur Entwicklung gezielterer Behandlungen für die Sucht beitragen könnten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass verschiedene Arten von Suchtverhalten möglicherweise durch unterschiedliche neurokognitive Funktionen gesteuert werden. So könnten beispielsweise Maßnahmen zur Verbesserung der Leistungsüberwachung oder zur Verringerung belohnungsbezogener Aufmerksamkeitsverzerrungen bei der Behandlung von Esssucht besonders wirksam sein. Andererseits könnten Behandlungen, die sich auf die Verbesserung der Entscheidungsfindung unter Unsicherheit konzentrieren, Personen helfen, die mit problematischer Internetnutzung zu kämpfen haben.

Die Studie unterstreicht auch die Notwendigkeit weiterer Forschung, um diese Ergebnisse zu wiederholen, insbesondere in klinisch schwereren Populationen. Die meisten Teilnehmer an dieser Studie wiesen ein geringes bis mittleres Suchtverhalten auf, was die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse auf Personen mit schwereren Abhängigkeiten einschränken könnte. Die Forscher sind jedoch der Ansicht, dass die Studie wichtige Grundlagen für das Verständnis der Rolle der neurokognitiven Funktionen bei Nicht-Stoffabhängigkeit liefert, einem Bereich, dem in der Vergangenheit relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Ausführlichere Informationen finden Sie in dem vollständigen Artikel unter folgendem Link (clearnet).
 
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